Stolperstein Nr. 24 : Irma Jasser

Wer erinnert sich an Irma Jasser?

 Irma Leeser wurde am 23.1.1901 in Rosbach als Tochter von Jacob Leeser und Hermine Hecht geboren. Im Adressbuch Rosbach von 1901 findet man den Eintrag „Jakob Leeser, Schneider, Manufakturgeschäft und Handel mit fertigen Kleidungsstücken“ sowie „Konrad Leeser, Kleinhandel mit Spezereien“.

Irma heiratete am 17.8.1924 in Rosbach den Kaufmann Hugo Kaminka aus Gießen und nahm den Familiennamen Kaminka an. Der gemeinsame Sohn Wolfgang Kaminka wurde 1926 in Gießen geboren.  Am 19.4.1932 wurde die Ehe geschieden. Irma nahm wieder Leeser als Familiennamen an. Ihr Beruf wurde mit Hut- und Putzmacherin angegeben.

Am 28.4.1933 heiratete sie in Rosbach den Techniker Rudolf Jasser. Das Ehepaar wohnte mit Sohn Wolfgang im Elternhaus von Irma, dem ersten Kauf- und Textilhaus von Bürgern jüdischen Glaubens in Rosbach (siehe Foto von 1916).

Dann ereilte die Familie die Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Was für die Nazis angebliche „Freiheit“ war, war für Irma, ihren Mann und ihren Sohn die Hölle. Auf dem sogenannten „Parteitag der Freiheit“ in Nürnberg wurden 1935 von den Nazis  zwei Gesetze zur Diskriminierung und Verfolgung beschlossen: Erstens das „Reichsbürgergesetz“, wodurch Irma die Reichsbürgerschaft und das Wahlrecht ohne Grund entzogen wurde, und zweitens das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, wonach das Blut der deutschen Bürgerin Irma plötzlich angeblich nicht mehr deutsch war und Rudolf per Gesetz plötzlich zum Verbrecher wurde; denn Eheschließung und geschlechtliche Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden wurden über Nacht verboten und konnten mit Zuchthaus und anschließender Einweisung in ein Konzentrationslager bestraft werden, wenn auch bestehende sogenannte „Mischehen“ zunächst noch geschont wurden. Auch war Juden nach dem neuen Gesetz verboten, die Reichs- und Nationalflagge zu hissen oder die Reichsfarben zu zeigen.

Vor dem Ausland wollte das Regime noch den Eindruck von Toleranz wecken und ließ im Sommer 1936 zu den Olympischen Spielen in Berlin die judenfeindlichen Schilder und Schautafeln zeitweise abmontieren.

Als am 10. November 1938 in Rosbach vom Bürgermeister Hammerschmidt mit der SA und SS die Pogrome gegen die Juden inszeniert wurden, war Rudolf Jasser noch in Köln auf seiner Arbeitsstelle, wo er jeden Tag mit dem Zug hin fuhr. Nachdem die Nazis mithilfe der Feuerwehr die Synagoge abgebrannt hatten und die jüdischen Männer nach Misshandlungen im Spritzenhaus eingesperrt und anschließend nach Köln abtransportiert worden hatten, regte der Amtsbürgermeister Hammerschmidt an, auch die Scheiben der Wohnungen der Juden zu zerschlagen. So veranstaltete die SA am Abend einen Appell am Bahnhof und teilte die Männer in Trupps ein. Sie fingen oben in der Bergstraße an, die Scheiben der Häuser von Juden einzuwerfen, drangen in die Wohnungen ein und verwüsteten sie. Irma Jasser, die mit Wolfgang noch allein zu Hause war, wurde von Freunden gewarnt und von Nachbarn in deren Haus in Sicherheit gebracht, während die Nazis ihre Wohnung verwüsteten und Möbel aus dem Fenster schmissen. „Ich kann mich noch erinnern, dass wir, mein Freund und ich mit den Fahrrädern von Schladern nach Rosbach gefahren sind, weil wir gehört hatten, was in Rosbach los war. Wir waren neugierig und haben uns das angeschaut, wie da die Scherben und die Möbel vor den Häusern auf dem Weg herumlagen. Schlimm sah das aus.“

Nach dem 10. Nov. 1938 durfte Wolfgang, weil er als Jude galt, nach den neu erlassenen Judengesetzen nicht mehr mit den christlichen Kindern zusammen in die Schule gehen. Irma zog dann mit ihm und mit ihrem Mann Rudolf nach Köln in die Maastrichter Str. 3. Nachdem Wolfgang am 20.7.42 nach Minsk deportiert und dort ermordet worden war, wurde es für Irma und Rudolf auch immer schwieriger zu überleben. Den „Mischehen“ wurde Stück für Stück die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen und die Deportation drohte. Da versteckten sich  Rudolf und seine Frau bei seiner Schwester in Idar-Oberstein. Dort überlebten sie das Naziregime und kehrten nach dem Krieg nach Rosbach zurück, jedoch nicht in ihr Elternhaus.

Er starb mit 47 Jahren am 9.2.1949  in Rosbach und sie starb mit 48 Jahren am 8.9.1949 in Rosbach. Beide wurden auf dem ev. Friedhof in Rosbach beigesetzt.

Ihrem ersten Mann Hugo Kaminka gelang die Flucht in die USA, wo er 1969 verstarb.

Diese Zeitzeugenberichte wurden vom Zeitzeugenforum Windeck durch Angaben amtlicher Dokumente ergänzt.

Der 24. Stolperstein in Windeck wurde am 29.3.2012 von Gunter Demnig für Irma Jasser verlegt. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Gunter Demnig

Wer weitere Informationen oder Fotos zum Leben der Familie Leeser-Jasser oder zu anderen Verfolgten des Naziregimes beisteuern kann, meldet sich bitte bei

Annemarie Röhrig, Tel. 3822                           annemarie.roehrig(at)gmx.de
Raimund Weiffen, Tel. 4687                             Raimund.Weiffen(at)t-online.de
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Stolperstein Nr. 9 : Irma Simon

Wer erinnert sich an Irma Simon ?

Irma Hofmann wurde am 10.4.1898 in Frickhofen (Landkreis Limburg-Weilburg) als Tochter von Aron Hofmann und Jeanette Hofmann geb. Löwenstein geboren. Aron Hofmann war Viehhändler und Vorsteher der jüdischen Gemeinde, bevor er von den Nationalsozialisten zusammen mit seiner Frau 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Beide wurden in Treblinka ermordet.

Irma heiratete Julius Simon aus Rosbach, den Bruder von Albert und Ferdinand Simon.
„In Dattenfeld mieteten Irma und Julius Simon eine Wohnung im Parterre links in dem Wohn- und Geschäftshaus der Filiale Lütz, früher Lichius“. „Irma Simon war eher klein und schmal. Sie brachte in Dattenfeld drei gesunde Kinder zur Welt. Sie lebte in Dattenfeld mit ihrer Familie ohne Unterschied zu den christlichen Familien. Es gab keine Probleme im nachbarschaftlichen Zusammenleben.“

Jedoch schon vor den Pogromen von 1938 wurden den Simons wie allen Deutschen jüdischen Glaubens viele Bürgerrechte entzogen. Im Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 wurde die deutsche Bevölkerung in zwei Gruppen geteilt, einerseits in sogenannte „Reichsbürger“, das sollten „Angehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ sein, und andererseits in sogenannte „Staatsangehörige“, das sollten angeblich „Angehörige rassefremden Volkstums“ sein. Zu letzteren zählten die Nazis u.a. auch die Bürger jüdischen Glaubens und deren Nachkommen, auch wenn sie nicht jüdischen Glaubens waren. Wählen durften dann nur noch die „Reichsbürger“.

So steht der Name von Irma Simon mit vielen anderen Namen in einem „Verzeichnis der Nichtarier, die der Wahlkartei entzogen sind“ – am 25.2.1936 unterschrieben vom damaligen Amtsbürgermeister in Rosbach. Dies bedeutete, dass sie bei der Reichstagswahl nicht mitwählen durfte.
Die Nationalsozialisten stellten dann 1941 für die Simons wie auch für alle anderen noch im Siegkreis lebenden Juden fest, welche Vermögenswerte nach der Deportation und Ermordung für den Staat ergaunert werden konnten. Sie hielten bei Irma Simon in ihrer Liste fest: „Wohnung gut – Vermögen nein“.

Am Montag, dem 20.7.1942, wurde Irma Simon mit ihrem Mann und ihren drei Kindern um 10 Uhr vom Sammelplatz am Rosbacher Bahnhof nach Köln-Deutz gebracht. Von dort wurden alle fünf mit einem Transport von ca. 1.064 Menschen „nach dem Osten evakuiert“, wie die Nationalsozialisten ihren Mordplan nannten (Abfahrt ca. 15 Uhr). Der Zug kam am 24.7.1942 gegen 6:45 Uhr „pünktlich“ zum Dienstbeginn des Mordkommandos in Minsk an. Soweit heute bekannt ist, wurden alle Personen noch am selben Tag in Gaswagen getötet oder im Wäldchen von Blagowtschtschina bei Minsk erschossen und in Gruben verscharrt.

Die Zugfahrkarten der Reichsbahn für die Fahrt in den Tod mussten die Deportierten selbst bezahlen. Rückfahrscheine gab es nicht. Es wurde die einfache Fahrt berechnet, für Kinder war von den Eltern nur die Hälfte des Fahrpreises zu zahlen. Das hatte die SS mit der Reichsbahn so ausgehandelt. Die Reichsbahn stellte die Züge in den Tod.

Der 9. Stolperstein in Windeck wurde von Gunter Demnig am 17.9.2011 in Dattenfeld, Hauptstr. 128, zur Erinnerung an Irma Simon unter großer Beteiligung der Bürgerschaft verlegt.

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Annemarie Röhrig, Tel. 3822 annemarie.roehrig(at)gmx.de
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Stolperstein Nr. 8 : Norbert Simon

Wer erinnert sich an Norbert Simon?

„Als die Hebamme Frau Ranke aus Dattenfeld im Jahr 1935 kurz vor der Entbindung Irma Simon besuchte, da sie ihr wie jeder anderen Frau bei der Geburt beistehen wollte, gab es ein Problem. Der Funktionär der Nationalsozialisten aus Dreisel drohte der Hebamme, sie anzuzeigen und bestrafen zu lassen, wenn sie der werdenden Mutter, die jüdischen Glaubens war, helfen würde. Doch die mutige Hebamme hatte resolut geantwortet, dass sie sich von so einem wie ihm nichts verbieten lassen würde. Sie führte trotz Verbots sowohl die Vor- und Nachbereitung als auch die Geburtshilfe durch.“ So kam Norbert Simon am 21. August gesund zur Welt und wuchs mit seinen Geschwistern in Dattenfeld auf.

„Norbert spielte mit uns Kindern wie alle anderen Kinder in der Nachbarschaft auch. Er war im Verhältnis zu Gleichaltrigen eher klein. Da seine Eltern nur halbe oder gar keine Lebensmittelkarten bekamen, halfen alle Nachbarn mit Lebensmitteln aus.“

Mit sechs Jahren, zu Ostern 1942, wäre Norbert in Dattenfeld eingeschult worden, wenn seine Eltern nicht zufällig den „falschen“ Glauben gehabt hätten. Den jüdischen Glauben aber nahmen die Nationalsozialisten zum Vorwand, um ihren Unrechtsstaat durch Aneignung jüdischen Vermögens zu bereichern und sich damit bei sogenannten „arischen“ Familien z.B. durch Unterstützung der Volkswohlfahrt einzuschmeicheln. So musste Norbert schon im Jahr 1941 nach einer Amtsverfügung Dattenfeld verlassen und wurde mit anderen jüdischen Familien zur Vorbereitung der Deportationen in einem sogenannten „Judenhaus“ in Rosbach in der Bergstraße eingepfercht. Die Zugfahrkarten der Reichsbahn für die Fahrt von Norbert und seinen Geschwistern in den Tod nach Minsk mussten die Eltern wie alle Deportierten selbst bezahlen.
Als Norbert klein war, lebten auch seine Großeltern Simon Simon (gebürtig aus Dahlhausen) und Amalie Simon (gebürtig aus Grenzhausen) noch in Rosbach an der Bergstraße. Die Großeltern mussten mit ansehen, dass ihre Enkel im nationalsozialistischen Staat keine Zukunft und keine beruflichen Chancen hatten. Anfang 1938 starb der Opa und 1939 einige Monate nach den Pogromen starb die Oma von Norbert und seinen Geschwistern.

Am Montag, dem 20.7.1942, wurde Norbert Simon mit seinen Eltern und Geschwistern um 10 Uhr vom Sammelplatz am Rosbacher Bahnhof nach Köln-Deutz gebracht. Vor dort wurden alle fünf mit einem Transport von ca. 1.064 Menschen „nach dem Osten evakuiert“, wie die Nationalsozialisten ihren Mordplan nannten (Abfahrt ca. 15 Uhr). Der Zug kam nach 87-stündiger Fahrt am 24.7.1942 gegen 6:45 Uhr „pünktlich“ zum Dienstbeginn des Mordkommandos in Minsk an. Soweit heute bekannt ist, wurden alle Personen noch am selben Tag in Gaswagen getötet oder im Wäldchen von Blagowschtschina bei Minsk erschossen und in Gruben verscharrt. Da war Nobert noch keine sieben Jahre alt.

Diese Zeitzeugenberichte wurden vom Zeitzeugenforum ergänzt durch Angaben amtlicher Dokumente.
Der 8. Stolperstein in Windeck wurde von Gunter Demnig am 17.9.2011 in Dattenfeld, Hauptstr. 128, zur Erinnerung an Norbert Simon unter großer Beteiligung der Bürgerschaft verlegt.
„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ (Gunter Demnig)

Bei der ersten Stolpersteinverlegung in Windeck wurden am Samstag, dem 17.9.2011, an 5 Stellen 22 Stolpersteine verlegt. 9 Steine hiervon erinnern an die Namen von Kindern und Jugendlichen, die ermordet wurden.

Wir danken allen Spendern der 22 Steine, die durch die Übernahme einer Patenschaft diese Aktion gegen das Vergessen möglich gemacht haben. Sehr gefreut hat uns , dass sich neben der Dorfgemeinschaft Alsen und vielen Privatpersonen auch alle Fraktionen der im Gemeinderat vertretenen Parteien, Geschäftsleute, Grundschulen (Dattenfeld und Rosbach) und die ev. Kirchengemeinde Rosbach beteiligt haben. Ebenso bedanken wir uns bei Herrn Adolph vom Bauhof für seine tatkräftige Unterstützung.
Die bewegenden oder mahnenden Wortbeiträge und die Blumen von unseren Bürgermeistern Jürgen Funke und Dirk Bube, von den Ratsvertretern Frank Steiniger und Dieter Vollmer, von Pfarrer Pollmann, Schauspielerin Sabine Berg und von den Bürgern, auch von Zeitzeugen der Nazidiktatur und von Schulkindern gaben der Verlegung der Erinnerungssteine einen würdevollen Rahmen. Nun bleibt den Paten und Vorübergehenden, die Steine ab und zu blankzuputzen, damit sie glänzen und besser sichtbar bleiben.

Wer weitere Zeitzeugenberichte oder Fotos zum Leben der Familie Simon oder zu anderen Verfolgten des Nazi-Regimes beisteuern kann oder sich an der 2. Verlegung von Stolpersteinen im April 2012 beteiligen möchte, meldet sich bitte bei
Annemarie Röhrig, Tel. 3822 annemarie.roehrig(at)gmx.de
Raimund Weiffen, Tel. 4687 Raimund.Weiffen(at)t-online.de

Stolperstein Nr. 64 : Liselotte Sussmann

Wer erinnert sich an Liselotte Sussmann ?

Stein 64 Liselotte Sussmann FotoLiselotte Sussmann wurde am 7. Dezember 1930 in Köln-Lindenthal als Tochter von Georg Ludwig Sussmann und  Alma Sussmann geb. Enders geboren. Ihre Mutter und sie selbst waren evangelisch, ihr Vater jüdisch. Daher litt die ganze Familie ab 1933 unter dem Hass und der Hetze der Nazis sowie unter den antijüdischen Gesetzen, die das Naziregime erließ.

Den Nazis galt Liselotte als Halbjüdin und es war ihr als „Geltungsjüdin“ nicht erlaubt, ein Gymnasium zu besuchen. „Im September 1941 vermochte sie unter Geheimhaltung ihrer Abstammung in die Königin-Luisen-Schule von Köln aufgenommen zu werden. Diese Schule besuchte sie bis April 1942.“ Nach dem Umzug nach Rosbach-Seifen besuchte sie bis Ende August 1944 die städtische Oberschule für Mädchen in Siegburg (Vorläufer des städtischen Mädchengymnasiums in der Alleestr.) „Um den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen, lebte sie seit diesem Zeitpunkt illegal. Erst im Herbst 1945 besuchte sie wieder die Höhere Schule“, nämlich die Studienanstalt St. Antonius in Bad Godesberg (späterer Name Klara-Fey-Gymnasium), von der sie nach der 10. Klasse abging. Liselotte  „beabsichtigte (zunächst), neue Sprachen zu studieren, um später als Philologin tätig zu sein.“ Nach dem Abgang vom Gymnasium beabsichtigte sie, das Dolmetscherexamen in Französisch, Spanisch usw. abzulegen, um später als Dolmetscherin tätig zu sein, wie der Vater nach dem Kriege beim Amt für Wiedergutmachung berichtete. Tatsächlich bekam sie eine gute Arbeitsstelle als Sekretärin  bei den Vereinten Nationen (UNO) in Bad Godesberg.

Ein Zeitzeuge, der aus Rosbach-Wardenbach stammte, aber nur bis 1939 in Rosbach war, da er dann zur Wehrmacht ging und erst 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, erinnert sich an Familie Sussmann, wenn sie aus Köln zu Besuch bei den Verwandten war. Er beobachtete vor 1939, dass die Familie sich mit einem Hartkant Seife draußen an der Pumpe vor dem Haus wusch.

Er erinnert sich auch, dass Alma dunkelblonde Haare hatte, dass ihr Mann groß und dunkelhaarig war, dass Vater Sussmann in Köln arbeitete und von Rosbach-Seifen aus gerne spazieren ging. Liselottes Vater waren offensichtlich Hygiene und frische Luft wichtig.

Ab 1942 bis 1944 wohnte Liselotte mit ihren Eltern hier in Rosbach bei der Oma Enders, also im Elternhaus ihrer Mutter. Das war der vordere Teil des Doppelhauses in Höhe der Hurster Str. 26. Das langgestreckte Fachwerkhaus stand nah an der Straße und wurde 1964 abgerissen. Dahinter wurde ein neues Haus gebaut.

Liselotte fuhr in ihrer Rosbacher Zeit jeden Tag mit dem Zug zur Schule bis nach Siegburg. Eine Zeitzeugin aus Rosbach, die 1942 bis 1945 nach Eitorf zur Mittelschule fuhr, erinnerte sich, dass Liselotte im gleichen Zug wie sie fuhr und dass sie schönes schwarzes zurückgekämmtes Haar hatte. Der Zeitzeugin tat das nette Mädchen damals sehr leid, weil es ja durch das Tragen des Judensterns „gebrandmarkt“ gewesen war.

Anfang September 1944, als alle noch in Deutschland lebenden Mitbürger, die jüdischen Glaubens waren oder von den Nazis als Juden bezeichnet wurden, samt ihrer nicht jüdischen Familienangehörigen zur Gestapo bestellt wurden, in Sammellagern interniert und von da aus in Arbeitslager oder Konzentrationslager deportiert wurden, tauchten die Eltern mit Liselotte rechtzeitig unter und lebten illegal. Sie wurden von mutigen Menschen sieben Monate lang in der Dachkammer des evangelischen Pfarrhauses in Königswinter versteckt und versorgt. Schließlich hausten sie im Chaos der letzten Kriegswochen bis zur Befreiung vom Nationalsozialismus noch einige Wochen im Godesberger Bunker – unerkannt unter anderen Bürgern, Ausgebombten und Flüchtlingen.

Liselotte starb am 7. November 1980 mit fast 50 Jahren in ihrer Wohnung in Bad Godesberg. Sie hatte sich 4 Jahre nach dem Tod ihrer Mutter durch Erhängen das Leben genommen. Ihr Vater war schon 1959 gestorben. 12 Jahre ihres jungen Lebens im Alter von 3 bis 15 Jahren  hatte sie unter Verfolgung, Entrechtung und Erniedrigung zu leiden und zu leben: Das hatte seine Spuren hinterlassen. Sie war schwermütig und konnte ihren Wunsch nach glücklicher Liebe und eigenen Kindern nicht erfüllen. Bevor sie sich das Leben nahm,  hatte sie noch einige Briefe geschrieben und verschickt. Ihre Schulfreundin Annemarie Ohlert schrieb über Liselotte in ihr Tagebuch: „Wir blieben Freundinnen bis zu ihrem frühen Tod. Sie hatte ihre Traumata aus der Nazizeit wohl nie überwunden. Möge sie ruhen in Frieden!“ Sie hatte auch Fotos von Liselotte aufbewahrt und bei einem Zeitzeugengespräch in Königswinter von ihrem Schicksal berichtet. Annemarie lernte Liselotte nach dem Krieg in der Schule kennen. Sie gingen in dieselbe Klasse und wurden dicke Freundinnen , nahmen zusammen Tanzstunden und erlebten viele frohe Stunden gemeinsam. Frau Ohlert beschrieb Liselotte später als vielseitig interessiert und sehr gebildet. Sie hatte auch Liselottes große Familie kennengelernt und mit ihr in Rosbach Tante Erna (verh. Sperber), die Schwester von Alma, besucht. Von Liselottes Verwandten väterlicherseits hatte niemand den Holocaust überlebt. (Text Annemarie Röhrig)

Diese Zeitzeugenberichte wurden durch Angaben aus Ämtern und Archiven ergänzt. Quellen: Stadtarchive Bonn und Köln, Standesamt Windeck, Hist. Verein Rosbach, http://www.virtuellesbrueckenhofmuseum.de/sonderausst/291106.html

Für Liselotte Sussmann wurde der 64. Stolperstein in Windeck von Gunter Demnig am Freitag, dem 11. März 2016, um ca. 16:30 Uhr, in Rosbach vor ihrem letzten freiwilligen Wohnort verlegt.

Stolperstein Nr. 63 : Alma Sussmann

Wer erinnert sich an Alma Sussmann geb. Enders ?

Stein 63 Alma Sussmann Geburtshaus

Alma Enders wurde am 5. Dezember 1901 in Rosbach-Seifen als Tochter von Karl Enders und Emilie Enders geb. Roetzel geboren. Ihr Vater war Fabrikarbeiter. Sie lebte mit ihren Eltern, ihrem Bruder und den beiden Schwestern Hedwig und Erna (später verheiratet Sperber) in dem Fachwerkhaus, welches früher direkt an der Hurster Str. in Höhe der Hausnummer 26 stand. Der vordere Teil des längsgeteilten Doppelhauses gehörte 1940 Almas Mutter, der Vater war da schon verstorben. Später gehörte es Karl Hofmeier und 1979 wurde es abgerissen.

Alma wurde evangelisch getauft und am 16. April 1916 durch Pfarrer Schumacher konfirmiert. Sie verliebte sich in Georg Sussmann, der jüdisch war, und heiratete ihn am 25. Januar 1930 auf dem Standesamt in Rosbach. Sie zog zu ihm nach Köln-Lindenthal, wo Georg 1930 ein schlichtes Zweifamilienhaus gekauft hatte. Schon am 7. Dezember 1930 gebar Alma in Lindenthal die gemeinsame Tochter Liselotte. Zunächst hatte die junge Familie einen guten Start. Die Geschäfte ihres Ehemannes, der selbstständiger Handelsvertreter im Textilgewerbe war, liefen gut.

Doch schon bald im Jahr 1933 begannen die Schwierigkeiten im Leben, die das Naziregime und dessen Anhänger ihrer Familie machten.

Durch Boykott der jüdischen Geschäfte gingen die Einkünfte stark zurück und Alma hatte unter der Hetze der Nazis gegen Mischehen zu leiden, die in dem sogenannten Blutschutzgesetz mündeten. Die allein bis 1936 erlassenen ca. 500 Gesetze und Verordnungen gegen die Juden schädigten ihren Mann sowie ihre Tochter und sie selbst. Im September wurden die sogenannten „Nürnberger Gesetze“ erlassen: Kinder wie Liselotte aus jüdisch-christlichen „Mischehen“ galten als „Mischlinge 1. Grades“, völlig unabhängig davon, ob etwa die jüdische Mutter christlich getauft war, galt die Taufe den Nazis doch nur als „Tarnung“. Auf die nichtjüdischen Ehepartner von Juden wurde in schlimmer Menschenverachtung Druck ausgeübt, sich von ihren jüdischen Ehepartnern zu trennen.

Mit dem „Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung“ vom Juli 1938 verloren alle selbstständigen Juden ihren Gewerbeschein. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 und in den Tagen danach brannten nicht nur die Synagogen, wurden jüdische Friedhöfe und Wohnungen verwüstet, es wurden auch 30.000 jüdische Männer verhaftet, in Konzentrationslager verschleppt und dort zutiefst gedemütigt. Auch Almas Mann Georg wurde in das KZ Dachau verschleppt und Alma war mit ihrer Angst und ihrer Tochter alleine.

Als Georg Ende Dezember glücklicherweise zurückgekommen war und nicht im KZ gestorben war wie sein Bruder, ging es weiter mit der Verordnung, dass die Kennkarten der Juden mit einem „J“ gekennzeichnet wurden und die Männer alle den Vornamen Israel und die Frauen den Namen Sara annehmen mussten. So hieß ihr Mann jetzt Georg Israel Sussmann, für die Behörden immer erkennbar als Jude. 1938 wurden ihm wie allen Juden der Führerschein und die KFZ-Zulassungspapiere entzogen. Er durfte seine Wohnung nicht mehr vermieten, durfte ab September 1939 nicht mehr nach 20 Uhr die Wohnung verlassen und musste das Radio der Familie abgeben. Somit konnte Alma mit ihrem Mann nicht mehr ausgehen und viele Orte nicht mehr aufsuchen. Das Haus musste weit unter Wert verkauft werden und eine Mietswohnung bezogen werden.  Wie schlimm muss es für Alma wohl gewesen sein, zu erleben, dass ihr geliebter Mann nun als „Feind“ im eigenen Land galt.

„Seitens der Staatspolizei in Köln erging (…) am 12. Mai 1941 folgende Anordnung: ‚Diejenigen Juden, die noch in arischen Häusern wohnen, haben diese bis zum 1. Juni 1941 zu räumen.’“ (Manfred van Rey: Die Vernichtung der Juden in Bonn).

Auch jüdische „Mischehepartner“ mussten ab dem 1.9.1941 den Judenstern tragen, damit jeder mit dem Finger auf den „Feind“ zeigen konnte. Wie mag Alma sich da gefühlt haben?

Wegen all dieser widrigen Umstände zog es Alma vor, mit ihrer Familie im April 1942 nach Rosbach-Seifen in ihr Elternhaus zu ziehen, da sie dort im Haus der Mutter zunächst mehr Sicherheit erhoffte.

Doch auch hier drohte die Verfolgung: Alle Juden, auch die, die  in „Mischehe“ lebten und ihre Kinder, wurden nun von der Gestapo am 12. September 1944 einbestellt, verhaftet und über Köln-Müngersdorf in Arbeitslager verbracht und ihre nichtjüdischen Ehepartner bekamen ein Aufenthaltsverbot für das Rheinland. Doch Alma tauchte Ende August 1944 mit ihrer Familie rechtzeitig vor der Verhaftung in die Illegalität unter. Alle  drei wurden in Königswinter im ev. Pfarrhaus bis zum 8. März 1944 auf dem Dachboden versteckt und verbrachten die letzten Kriegswochen bis zur Befreiung unerkannt unter anderen Flüchtlingen im Godesberger Bunker. Nach dem Krieg lebte Alma mit ihrer Familie in Bad Godesberg.

Alma erhielt nach dem Tod ihres Mannes eine kleine Witwenrente. Gesundheitlich war sie seit der schlimmen Zeit der Verfolgung sehr angeschlagen, sie litt unter Herzunruhe, Schwindel, Beklemmungen in der Herzgegend und Nervosität. Sie starb in Bonn am 12. Februar 1976 mit 74 Jahren.

Text: Annemarie Röhrig. Diese Zeitzeugenberichte wurden durch Informationen aus Archiven in Rosbach, Siegburg, Bonn, Duisburg ergänzt.

Der 63. Stolperstein wurde von Gunter Demnig für Alma Sussmann am 11. März 2016 um ca. 16:30 Uhr in Rosbach, Hurster Str. 26, verlegt.

Stolperstein Nr. 62 : Georg Sussmann

Wer erinnert sich an Georg Ludwig Sussmann ?

Georg Ludwig Sussmann wurde am 02. Juli 1893 in Köln geboren. Seine Eltern waren Hermann Sussmann und Klara Sussmann, geb. Stern. Die Familie war jüdischen Glaubens.
Als junger Mann war Georg selbstständiger Handelsvertreter im Textilfach und verdiente gut. Er heiratete in Rosbach am 25. Januar 1930 Alma Enders aus Rosbach-Seifen, die evangelischen Glaubens war.

Haus von Georg Sussmann, Sielsdorfer Str. 2 in Köln-Lindenthal (aktuelle Aufnahme)

Haus von Georg Sussmann, Sielsdorfer Str. 2 in Köln-Lindenthal (aktuelle Aufnahme)

Bis dahin wohnte Georg noch in Köln in der Volksgartenstraße. Nach der Heirat kaufte er in Köln-Lindenthal in der Sielsdorfer Str. 2 ein einfaches Zweifamilienhaus mit 2 Dreizimmerwohnungen und zog dort mit Alma ein. Eine Wohnung wurde vermietet. Noch im gleichen Jahr im Dezember wurde in Lindenthal Töchterchen Liselotte geboren.
In der Nazizeit wurde es dann für die Familie extrem schwierig, da Georg jüdisch war.
Schon ab 1933 erschwerte der Boykott jüdischer Geschäfte Georgs  geschäftliche Tätigkeit erheblich. Die Umsätze gingen mit den Jahren immer mehr zurück, bis im Jahre 1938 das endgültige Gewerbeverbot für Juden herauskam und die Familie Sussmann gar keine Einkünfte mehr hatte.

Nach den November-Pogromen der Nazis im Jahr 1938 gegen die Juden wurde Georg ohne Grund festgenommen und mit vielen anderen jüdischen Männern, die nichts Unrechtes getan hatten, unschuldig in die sogenannte „Schutzhaft“ im KZ Dachau gebracht.

Dort war auch sein Bruder Richard Sussmann interniert, der bis dahin als Rechtsanwalt in Köln tätig war. Richard verstarb unter den schlechten Lebensbedingungen am 5. Dezember 1938 in Dachau an einer Lungenentzündung. Richards Frau Magda Sussmann geb. Nossek starb später nach der Deportation nach Riga im KZ. Sie war nach dem Tod ihres Mannes wieder in ihre Geburtsstadt nach Berlin gezogen und am 19. Dezember 1942 von dort zusammen mit ihrem Bruder Alfred Nossek, ihrer Schwägerin Rosi Nossek und deren Kindern Tana und Marion deportiert worden.

Georg hatte mehr Glück als sein Bruder und kam Ende Dezember 1938 lebend wieder aus Dachau nach Hause. Allerdings war er Anfang 1939 gezwungen, sein Haus in Lindenthal weit unter Wert zu verkaufen und in eine Mietwohnung in der Aachener Straße umzuziehen. Er hatte die Mietwohnung in seinem eigenen Haus nicht mehr vermieten dürfen und es wurde ihm nicht die erforderliche Genehmigung gegeben, sein  Haus auf seine Tochter oder Ehefrau zu übertragen.

Auszug aus dem Brief mit dem Antrag, das Haus auf die Tochter übertragen zu dürfen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Auszug aus dem Brief mit dem Antrag, das Haus auf die Tochter übertragen zu dürfen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Der kleine Erlös aus dem Hausverkauf, der nach Abzug der Maklergebühren und der Ablösung der Hypothek übrigblieb, musste auf sei Postscheckkonto eingezahlt werden, über das er nicht mehr frei verfügen durfte. Es wurden ihm lediglich noch 7 Monate 400 Mark pro Monat für den Lebensunterhalt ausgezahlt, bis man ihm sein Konto ganz sperrte.

Hiervon wurde eine sogenannte „Judenvermögensabgabe“ in Höhe von 4.000 RM eingezogen, die die Nazis erhoben, um sich an den Vermögenswerten der Juden zu bereichern. Da er kein Einkommen mehr hatte, musste Georg einige kleine Hypotheken unter Wert verkaufen, dann seine Lebensversicherung, seinen Kraftwagen und die meisten Möbel samt Wohnungsausstattung.

Und damit nicht genug: Nach einer Naziverordnung durften Juden kein Radio besitzen und so wurde Georgs Radio in einer Gestapo-Aktion beschlagnahmt.

Erst Ende 1939 erhielt er als Zwangsarbeiter in sogenannten “Judenkolonnen“, in denen er als ungelernter Arbeiter im Tiefbau, Kanalbau und in Fabriken arbeiten musste, einen Lohn, wenn auch nur einen ganz geringen.

Da das Leben in Köln immer schwieriger wurde, verließ Georg mit seiner Familie Köln und zog im Frühjahr 1942 nach Rosbach-Seifen in die Wohnung von Almas Mutter. Die kleine Wohnung bestand aus der vorderen Hälfte eines Fachwerkhauses, welches früher vor dem jetzigen Wohnhaus Hurster Str. 26 nah an der Straße gestanden hatte.

Von hier aus musste Georg jeden Tag nach Köln zu seiner Zwangsarbeitsstelle fahren, da eine Abmeldung aus Köln offensichtlich nicht möglich war.  Dadurch bedingt galt Rosbach nur als 2. Wohnsitz.

Dennoch wurde die Familie am 30. Juni 1943 bei der „Erfassung jüdischer Mischehepartner und Geltungsjuden im Amt Dattenfeld“ erfasst. Vermerkt wurde zu Georg Sussmann: „Wohnort Rosbach, Jude, jüdische Religion, Ehe privilegiert, Ehe besteht noch, 1 Kind, Evgl. Religion, Jüd. Mischling 1. Grades“ und zu Alma: „deutschblütige Abstammung, evangelische Religion“. Dann wurde die Familie im Oktober aufgelistet bei der „Nachweisung der im Siegkreis wohnenden Juden“ mit den Angaben: „Mischehe, jüdische Religion“.

Schließlich, im Herbst 1944, begannen die Internierungen und Deportationen in Zwangsarbeiterlager auch für sogenannte „Mischehen“ und viele der Entrechteten suchten sich ein Versteck.

So verließ auch Familie Sussmann im September 1944 Almas Elternhaus in Rosbach und tauchte in die Illegalität unter. Zeitzeugin Annemarie Ohlert aus Königswinter berichtete: „Auf der Flucht hatte sie (Liselotte) mit ihrer Familie sieben Monate in einer Dachkammer des evangelischen Pfarrhauses in Königswinter Zuflucht gefunden, schließlich hauste sie die letzten Wochen bis Kriegsende im Godesberger Bunker.“ (Zit. aus Artikel von Guido Krawinkel: Dachkammer des Pfarrhauses diente als Zuflucht ;Quelle: General-Anzeiger vom 29.11.2006 siehe: www.virtuellesbrueckenhofmuseum.de/sonderausst/291106.html)

Georg wurde nach dem Krieg von der Stadt Bonn als kleiner Verwaltungsangestellter beschäftigt und konnte so wieder seinen Lebensunterhalt sichern.

1956 wurde er als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung anerkannt und erhielt eine Entschädigung, eine einmalige Abfindung, die allerdings nicht annähernd seinen gesamten wirtschaftlichen Schaden erreichte.

Im Jahr 1959 starb Georg Ludwig Sussmann in Bad Godesberg.

Diese Zeitzeugenberichte wurden vom Zeitzeugenforum ergänzt durch Angaben aus Standesämtern und Archiven in Duisburg (Hauptstaatsarchiv), Bonn (Stadtarchiv), Köln (Stadtarchiv), Siegburg(Kreisarchiv) und Windeck (Standesamt, Histor. Verein Rosbach).

Der 62. Stolperstein wurde von Gunter Demnig für Georg Sussmann am 11. März 2016, ca. 16:30 Uhr in Rosbach, Hurster Str. 26, verlegt.

Stolperstein Nr. 61 : Josef Gauchel

Wer erinnert sich an Josef Gauchel ?

Foto von Josef auf dem Krankenblatt: Darüber das rote Kreuz war ein geheimes Zeichen der „Euthanasie“-Ärzte und bedeutete nach der Begutachtung der Krankenakte, dass der Patient ermordet werden sollte. Ein blauer Strich hätte Arbeitsfähigkeit und Überleben bedeutet.

Foto von Josef auf dem Krankenblatt: Darüber das rote Kreuz war ein geheimes Zeichen der „Euthanasie“-Ärzte und bedeutete nach der Begutachtung der Krankenakte, dass der Patient ermordet werden sollte. Ein blauer Strich hätte Arbeitsfähigkeit und Überleben bedeutet.

Josef Gauchel wurde am 23. Februar 1928 in Rossel bei Dattenfeld als Sohn von Josef Gauchel, Arbeiter, und Anna Gauchel geb. Becher, geboren. Der Vater stammte aus Dattenfeld und die Mutter aus Gutmannseichen.

Josef wurde katholisch getauft und zog mit seiner Familie nach Gutmannseichen. In der Schule lernte er das Lesen, Schreiben und Rechnen, war aber hinter seinen Altersgenossen etwas zurück und zeigte einen überdurchschnittlichen Bewegungsdrang sowie Unruhe. Er pflückte im Dorf manchmal für die Leute Beerenobst und verdiente sich ein Taschengeld damit.

Im Alter von 9 Jahren wurde er 1937 zur Untersuchung nach Bonn in die Rheinische Provinzial-Kinderanstalt eingewiesen. Zu seiner Vorgeschichte wurde hier von der Gemeindeschwester angegeben, er habe seit dem 5. Lebensmonat in unregelmäßigen Abständen Anfälle bekommen, die sich dann im Alter von 8 Jahren gehäuft hätten. In der Schule sollen sie täglich aufgetreten sein, sodass der Lehrer ihn aus der Schule ausgeschlossen habe. Allerdings traten sie bei einer psychologischen Untersuchung 1935 nicht auf und es wurde eine Psychopathie diagnostiziert.  Der Vater dagegen erinnert sich nur an Magenkrämpfe, als er später, im Jahr 1954 beim Amt für Wiedergutmachung des Siegkreises beklagt, dass das Naziregime dem Leben seines Sohnes ein Ende gemacht hat.

Die häuslichen Verhältnisse wurden von der Gemeindeschwester als ungünstig beurteilt, zumal die Mutter klage, dass durch die Nachbarschaft dauernd Beschwerden bei ihr eingingen, „die empfindliche Streiche und Belästigungen durch den Jungen zum Gegenstand haben.“ Daher wurde er „zur Beurteilung seiner Erziehbarkeit im Rahmen der Fürsorgeerziehung gegebenenfalls auch zum Zweck der Unterbringung in einer Epileptikeranstalt hier (in Bonn) eingewiesen“.

Beim Intelligenztest in der Klinik wurde der Junge zur „Geschichte“ gefragt: „Wer ist Adolf Hitler?“ Josef antwortete auf Platt: „Noch nie gehört. Wat is dat denn?“ Auf die Frage: „Was ist denn die SA?“ die Antwort: „Ein S und ein A.“  Dann folgte die Frage: „Was ist denn die Hitlerjugend?“ und die Antwort war: „Wat ist dat denn, sind dat Kinder?“ Die Antworten des Jungen, der immerhin schon lesen und rechnen konnte, lassen vermuten, dass Hitler in Josefs Familie kein Thema war und die Kinder nicht zu seiner Verehrung angehalten wurden.

Josef verbrachte die Zeit vom 26. November 1937 bis zum 9. Januar 1938 in der Provinzial-Kinderanstalt in Bonn und wurde anschließend auf Empfehlung des leitenden Arztes in Essen in einer Schwachsinnigenanstalt untergebracht, da eine Unterbringung in einer Erziehungsanstalt als völlig aussichtslos abzulehnen sei. Dagegen wehrte sich der Vater, er holte nach 8 Wochen sein Kind nach Hause, da ihm Essen zu weit weg war und da er seinen Sohn öfter besuchen können wollte. Er schrieb, dass er sein Kind nicht in die Welt schicken wolle, um sich dann nicht mehr darum zu kümmern. Ein Zeitzeuge, ein damaliger Nachbarsjunge, berichtet von einer starken Verbesserung des Verhaltens von Josef nach dem Aufenthalt in der Anstalt, z.B. dass er jetzt die Erwachsenen mit „Sie“ und nicht mit „du“ anredete und überhaupt besser sprach. Zu Hause konnte er mit kleinen Handreichungen helfen.

Der behandelnde Landarzt und Parteigänger der NSDAP aus Herchen sollte sich dann auf Bitten der Klinik mit dieser in Verbindung setzen.

Am 11. Juni 1942 wurde Josef erneut nach Bonn eingewiesen und bald von dort am 5. Oktober 1942 in das St. Josefshaus in Hardt bei Mönchengladbach verlegt. Im „Zusatzbericht“ des Bonner leitenden Arztes Dr. Schmidt vom 5. Oktober 1943 ist von einer starken Verschlechterung des psychischen Befundes die Rede und er schließt mit dem später als Todesurteil zu interpretierenden fatalen Satz „Eine arbeitsmäßige Verwendung dürfte nur in ganz beschränktem Masse möglich sein.“

In Hardt musste Josef bleiben, bis er am 17. Mai 1943 im Zuge der geheimen dezentralen „Euthanasie“ der Nationalsozialisten, genannt „Aktion Brandt“, in die zur Tötungsanstalt umfunktionierte Heil- und Pflegeanstalt in Niedernhart bei Linz/ jetzt Österreich weit von der Heimat weg verlegt und dort am 31. Juni 1943 getötet wurde. Laut Angaben des Arztes starb er angeblich in einem epileptischen Anfall. Quelle: „Verzeichnis des Bestandes  ‚Wagner-Jauregg-Krankenhaus’  (Niedernhart) aus dem Hauptbuch X“ im Oberösterreichischen Landesarchiv.

Jedoch ist bekannt, dass hier untergebrachte Menschen durch Kürzung der Essensrationen geschwächt wurden, damit sie leichter getötet werden konnten. „Die Tötungen durch Überdosierung von Barbituraten wurden zuerst durch orale, später durch intravenöse Verabreichung vorgenommen. An den Morden waren außer Lonauer (Arzt) noch einige Pflegerinnen beteiligt. Einer von ihnen gab nach der Befreiung 1945 an: ‚…Dr. Lonauer kam öfters und verabreichte den Kranken Injektionen, die nach einer viertel Stunde den Tod herbeiführten, … anderen Kranken mussten bestimmte Medikamente (Luminaltabletten) verabfolgt werden, solche behandelte Kranke starben meist erst in einigen Tagen…’“ (Zit. Florian Schwanninger: Gau Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke Niedernhart  S. 165ff. in: Waltraud Häupl: Der organisierte Massenmord an Kindern und Jugendlichen in der Ostmark 1940 – 1945. Gedenkdokumentation für die Opfer der NS-Euthanasie. Wien. Köln. Weimar 2008.)

„Die größte …Ermordungswelle von Kindern und Jugendlichen in Niedernhart setzte nach der Ankunft der Transporte aus dem ‚Josefshaus’ in Hardt (Mönchengladbach) ein.

Am 18. und 19. Mai 1943 wurden 94 Buben bzw. junge Männer im Durchschnittsalter von 12 Jahren in die Anstalt Niedernhart transferiert. Diese Transporte dokumentieren eine der grausamsten Ermordungswellen Niedernharts, da innerhalb weniger Wochen der Großteil der Kinder und Jugendlichen in der Anstalt getötet wurde…“ ( Zit. Florian Schwanninger: Der Kindertransport von Hardt. Ebd. S. 168 ff.).

Im gleichen Transport kam auch Bertram Bödefeld, geb. in Eitorf am 6. Oktober 1937, nach Niedernhart und wurde dort im Alter von 6 Jahren am 1. Juni 1943 getötet, einen Tag nach Josef Gauchel.

(Text: Annemarie Röhrig, weitere Quellen: Zeitzeugen, LVR-Archiv, St. Josefshaus Mönchengladbach, Archiv Rhein-Sieg-Kreis)

Für Josef Gauchel wurde der 61. Stolperstein in Windeck von Gunter Demnig am 11. März 2016, ca. um 15:50 Uhr, in Gutmannseichen vor seinem letzten freiwilligen Wohnort verlegt.

Stolperstein Nr. 60 : Wilhelmine Müller geb. Hansmann

Wer erinnert sich an Wilhelmine Müller geb. Hansmann ?

Stein 60 Wilhelmine Hansmann PorträtWilhelmine Hansmann wurde am 23. Mai 1900 in Hoppengarten als Tochter von Franz Wilhelm Hansmann und Julia Hansmann, geborene Ottersbach, und als siebtes von zehn gesunden Kindern geboren.  Sie wurde am 27. Mai 1900 katholisch getauft. Ihr Vater war von Beruf Geschoßfabrikarbeiter.

Ihre Geschwister waren Katharina, Jahrgang 1887, verheiratet Bargon, Christian, Jahrgang 1888, Joseph, Jahrgang 1890, Franziskus Wilhelm, Jahrgang 1892, Juliane, Jahrgang 1922, verheiratet Müller, Wilhelm, Jahrgang 1897, Heinrich, Jahrgang 1902, Anne Catharina, Jahrgang 1905, und Maria, Jahrgang 1908, verheiratet Hohn.

Am 22. Mai 1930 im Alter von 30 Jahren heiratete sie in Marienthal Peter Müller aus Gutmannseichen. Sie bekam drei gesunde Kinder: zwei Mädchen und einen Jungen. Wilhelmine lebte mit ihrer Familie im Haus der Schwiegereltern in Gutmannseichen zusammen mit Lieschen, der Schwester ihres Mannes, ihrem Mann und den drei Kindern. Die Familie betrieb dort eine kleine Landwirtschaft mit Milchkühen.

Doch Wilhelmine genannt „Minna“ war vielleicht unglücklich und oft schwermütig. Möglicherweise gab es Spannungen in der Familie. Minna besuchte öfter abends ihre Schwester Juliane genannt „Jull“, die auch nach Gutmannseichen geheiratet hatte, und machte mit ihr Spiele, z.B. Mühle. Dabei sei sie dann oft mit den Gedanken plötzlich ganz woanders gewesen. Ein Neffe erzählt: „Tante ‚Minna’ hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Tante Jull. Auf Besuchen bei Tante Minna empfand ich oft eine gedrückte Stimmung im Haus.“

Im Dezember 1937 erlitt Wilhelmine laut Aussage ihres Mannes einen plötzlichen Nervenzusammenbruch. Sie war dann auf den Rat des behandelnden Arztes aus Herchen zur Beobachtung in die Nervenklinik Bonn überwiesen worden. Laut Bonner Krankenunterlagen war sie mit angeblichen Selbstmordabsichten eingeliefert worden. Von dort habe man sie ohne sein Wissen in die Heil- und Pflegeanstalt überstellt.

Am 20. Dezember 1937 wurde Wilhelmine tragischerweise stationär in die Provinzial- Pflege- und Heilanstalt in Bonn aufgenommen. Trotz wiederholter Versuche sei es ihm nicht möglich gewesen, seine Frau wieder nach Hause zu holen, berichtete ihr Mann 1955 beim Amt für Wiedergutmachung des Rhein-Sieg-Kreises. Später sei sie außerdem sterilisiert worden. Die erhaltenen Krankenunterlagen bestätigen alle Angaben des Ehemannes. Am 5. Juli 1938 wurde von der Heilanstalt eine Anzeige gemäß der „Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5. Dezember 1933“ gegen Wilhelmine beim Gesundheitsamt gestellt und am 13. September 1938 wurde sie nach dem Urteil des Bonner „Erbgesundheitsgerichtes“ in der Bonner Frauenklinik unfruchtbar gemacht.

Als dann am 6. Juli 1944 von den Nationalsozialisten ein „Sondertransport“ mit beabsichtigter Euthanasie und dem Ziel der Tötungsanstalt „Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde“ mit 25 Patientinnen von Bonn abfuhr, war auch Wilhelmine dabei. Dies ist in den Meldeunterlagen der Bonner Anstalt vermerkt. Am 6. Juli 1944 wurde dem Ehemann in einem Schreiben die Verlegung nach Meseritz-Obrawalde mitgeteilt. Angeblich sei diese aus Gründen von „Freimachungsmaßnahmen“ in luftgefährdeten Gebieten notwendig, schrieb die Anstalt.

Dann musste Wilhelmine ihre wohl schlimmsten Tage erleben: im Sterberegister für 1944 im Standesamt von Meseritz-Obrawalde wurde ihr Tod für den 13 Juli 1944 um 1:45 Uhr eingetragen. Als Todesursache wurde den Mord verschleiernd angebliche „Schizophrenie“ und „schwerste Erregung“ angegeben. Die meisten Patienten wurden jedoch auf Anordnung der NS-Ärzte von Pflegerinnen durch überdosierte Medikamente in Form von Tabletten oder Spritzen getötet. Bereits am 13. Juli 1944 sei laut Ehemann das Telegramm der Todesnachricht in Gutmannseichen eingetroffen. Da waren ihre Kinder 8, 9 und 11 Jahre alt. Die Tante, die mit im Haushalt lebte, kümmerte sich um die Kinder.

„Ja, ich weiß, meine Mutter ist damals nach Bonn in eine Pflege- und Heilanstalt gekommen. Ja, Meseritz, habe ich mal gehört, dass meine Mutter da war. Ich war da noch ganz klein. Ich habe da keine Erinnerung daran. Da ist auch später nie drüber gesprochen worden. Der Papa hat nie etwas zu uns darüber gesagt. Das Thema war zu Hause tabu. Die Kinder aus dem Dorf haben schon mal was gesagt, von denen habe ich das erfahren, was ich wusste. In der Schule habe ich einmal geweint, als wir einen Aufsatz über unsere Mütter schreiben sollten. Die Lehrerin kam zu mir und sagte, da musst du doch nicht weinen. Ich habe auch mit meinen Kindern später nie darüber gesprochen.“

Ein damaliger Nachbarsjunge erinnert sich noch daran, wie am Abend des 19. Dezember 1937 viele aus dem Dorf, auch Wilhelmines Mann und ihre Schwester Juliane Müller geb. Hansmann, auf den Beinen waren, um Wilhelmine zu suchen. „Ich weiß noch, wie das passiert war, die Nacht. Es hatte ein bisschen geschneit. Die Wilhelmine hatte ihrem Peter gesagt, sie müsse mal nach dem Klo. Das war ja draußen im Hof. Sie ist aber da vorbeigelaufen in Richtung Hoppengarten. Im Kaltbachtal haben sie sie gefunden und hochgeholt. Am nächsten Morgen war die schon weg.“ Scheinbar hatte der herbeigerufene Arzt die Abholung veranlasst. „Meine Mutter hat die Wilhelmine ein paar Mal in Bonn besucht. Da ging es ihr gut und sie wollte nach Hause. Auch ihr Mann Peter besuchte Wilhelmine in Bonn.“ (Text : Annemarie Röhrig)

Auf der Karteikarte ist das rote Kreuz als geheimes Zeichen der NS-Ärzte zu sehen, welches bedeutete, dass die Patienten ermordet werden sollten.

Auf der Karteikarte ist das rote Kreuz als geheimes Zeichen der NS-Ärzte zu sehen, welches bedeutete, dass die Patienten ermordet werden sollten.

 Auf der Karteikarte ist das rote Kreuz als geheimes Zeichen der NS-Ärzte zu sehen, welches bedeutete, dass die Patienten ermordet werden sollten.

Diese Zeitzeugenberichte wurden vom Zeitzeugenforum Windeck durch Angaben amtlicher Dokumente ergänzt. Weitere Informationen im LVR-Archiv, Polnischen Staatsarchiv Gorzow Wielpolski, Archiv Rhein-Sieg-Kreis, bei Linda Orth vom Psychiatriemuseum der LVR-Kliniken in Bonn , Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“.

Der 60. Stolperstein in Windeck wurde von Gunter Demnig am 11. März 2016 um 15:30 Uhr in Gutmannseichen zur Erinnerung an Wilhelmine Müller verlegt.

Stolperstein Nr. 7 : Heinz Simon

Wer erinnert sich an Heinz Simon?

Heinz Simon wurde am 9. Juli 1930 als zweites Kind von Julius und Irma Simon in Dattenfeld geboren. Er wurde Ostern 1937 in Dattenfeld in der kath. Volksschule eingeschult. Er war klein und schmächtig wie seine Schwester Trudi. Lange durfte er nicht in Dattenfeld mit seinen Freunden aus der Nachbarschaft in die Schule gehen.

Nach den Pogromen gegen die Juden im November 1938, als die „Nazis“ (mit kurzem a gesprochen, wie sie hier abfällig genannt wurden) aus Dreisel und Rosbach die Wohnung seiner Familie verwüsteten und seinen Vater vor seinen Augen verschleppten, durften aufgrund einer nationalsozialistischen Verordnung jüdische Kinder nicht mehr gemeinsam mit nichtjüdischen Kindern in die Schule gehen. Heinz musste mit 8 Jahren wie seine Schwester jeden Tag mit dem Zug nach Siegburg fahren, um dort in die jüdische Schule zu gehen.

Nachdem seine Familie 1941 von der nationalsozialistischen Gemeindeverwaltung aus der Wohnung in Dattenfeld verwiesen wurde, weil Menschen jüdischen Glaubens nicht mehr mit nichtjüdischen Menschen zusammen in einem Haus wohnen durften, wurde er mit seiner Familie und anderen jüdischen Mitbürgern in ein so genanntes „Judenhaus“ in der Bergstraße in Rosbach zwangseingewiesen. Die Dattenfelder Wohnungseinrichtung fiel an das Reich.

„Ich erinnere mich noch daran, wie meine Mutter damals die Hände vor ihr Gesicht hielt und zu uns Kindern sagte: „Jetzt haben sie die jüdische Familie hier aus Dattenfeld auch abgeholt.“ In dieser Zeit bereicherte sich der nationalsozialistische Staat systematisch an dem Vermögen der Juden und der Arbeitskraft der Zwangsarbeiter, um seinen verbrecherischen Krieg zu finanzieren. Denn 1941 griff das Deutsche Reich unter Missachtung des Nichtangriffspaktes Russland an, was in den Augen vernünftiger Menschen schon als Werk eines Verrückten galt.

„Ich erinnere mich noch daran, wie mein Vater 1941 in Schladern im Radio von dem Angriff auf Russland erfahren hatte und zu mir sagte: „Jetzt hat er verloren, Russland ist zu groß!“ Mit „er“ meinte er Hitler: Mein Vater nahm dessen Namen nie in den Mund, er sagte nur „er“ oder „der Verbrecher“.  Mein Vater war 1914 mit 18 Jahren in die Wehrmacht eingezogen, ausgebildet und in Russland im Krieg eingesetzt worden. Nach vier Jahren fern vom Elternhaus kehrte er 1918 mit 22 Jahren aus Russland heim. Durch Erfahrung klug geworden durchschaute er als einfacher Arbeiter Hitlers Propaganda und wusste von Anfang: „Der will nur Krieg“.

Am Montag, dem 20. Juli 1942, wurde Heinz Simon mit seinen Eltern und Geschwistern um 10 Uhr vom Sammelplatz am Rosbacher Bahnhof nach Köln-Deutz gebracht. Von dort wurden alle fünf mit einem Transport von ca. 1064 Menschen „nach dem Osten evakuiert“, wie die Nationalsozialisten ihren Mordplan nannten (Abfahrt ca. 15:00 Uhr). Der Zug kam nach 87-stündiger Fahrt am 24. Juli 1942 gegen 6:45 Uhr „pünktlich“ zum Dienstbeginn des Mordkommandos in Minsk an. Soweit heute bekannt ist, wurden alle Personen noch am selben Tag in Gaswagen getötet oder an Gruben im Wäldchen von Blagowschtschina bei Minsk erschossen und in Gruben verscharrt. Da war Heinz gerade 12 Jahre alt.

Diese Zeitzeugenberichte wurden vom Zeitzeugenforum ergänzt durch Angaben amtlicher Dokumente. Der 7. Stolperstein in Windeck wird von Gunter Demnig zur Erinnerung an Heinz Simon am Samstag, dem 17. September 2011, in Dattenfeld, verlegt.

Wer weitere Zeitzeugenberichte oder Fotos zum Leben der Familie Simon oder zu anderen Verfolgten des Nazi-Regimes beisteuern kann, meldet sich bitte bei Annemarie Röhrig, Tel. 3822 annemarie.roehrig(at)gmx.de Raimund Weiffen, Tel. 4687 Raimund.Weiffen(at)t-online.de

Stolperstein Nr. 1 : Betti Blumenthal

Betty Blumenthal

Betty Blumenthal

Wer erinnert sich an Betti Blumenthal?

Unten rechts: Betty Blumenthal

Unten rechts: Betty Blumenthal

 

„Etwa 1936 zog in unsere direkte Nachbarschaft die Familie Blumenthal. Die beiden Töchter der Familie Elfriede und Betty waren (zu dem Zeitpunkt) etwa 6 und 8 Jahre alt.

Betty hatte meinen kleinen Sohn  Willi – damals noch ein Baby – sehr gern und kam oft zu ihm. Die Kinder gingen nur einige Zeit in die Schule in Schneppe. Dann teilte ihnen der Lehrer mit, dass keine jüdischen Kinder in der Schule geduldet würden und die Kinder gingen nicht mehr zur Schule.

Da die Familie zeitweise ohne Einkommen war (der Vater war nach den Pogromen  zwangsverpflichtet und arbeitete bis zur Deportation 1942 bei der Firma Gebr. Langen in Schladern) kehrte größte Armut bei ihnen ein. Frau Blumenthal bat mich, wenn ich nach Eitorf fuhr, doch für sie eine Tasche bei Familie Marx in Eitorf abzuholen. Ich habe sehr oft eine Tasche (voll Lebensmittel) bei Marx abgeholt. Frau Blumenthal bat mich, die Tasche an einem bestimmten Ort abzustellen. Erst wenn es dunkel war, holte sie die Tasche dort ab. (Um mich nicht zu gefährden).

Ende 1941 wurde die Familie gezwungen, nach Rosbach zu ziehen (in das Haus von Max Seligmann, Bergstr. 9). Von dort kamen sie manchmal in der Dunkelheit und baten um Lebensmittel, die ich ihnen immer gab. 1942 im Juni starb mein Sohn Willi an Diphtherie. Kurz danach kam eine Karte von Betty B., in der sie anfragte, wie es Willi gehe – sie habe gehört, dass er krank sei. Ich schrieb ihr, dass Willi gestorben sei. Sie schrieb daraufhin wieder eine Karte mit folgendem Wortlaut: ‚Ihr Lieben! Weinet nicht, dem Willi ist wohl. Diese Karte wird das Letzte sein, was ihr von uns hört. Wir müssen am Montag um 10 Uhr ohne Gepäck in Rosbach am Bahnhof sein. Da wisst ihr ja, wo es hin geht. Eure Betty Blumenthal.’“

Der genannte Montag muss der 20.07.1942 gewesen sein. Denn am 20.07.1942 wurde u.a. Fam. Blumenthal von Köln-Deutz aus mit einem Transport von ca. 1064 Menschen nach Minsk deportiert (Abfahrt ca. 15 Uhr). Der Zug kam am 24.07.1942 gegen 6.45 Uhr in Minsk an. Soweit heute bekannt ist, wurden alle Personen noch am selben Tag ermordet und in Gruben verscharrt. Da war Betti 13 Jahre alt.

Dieser erschütternde Zeitzeugenbericht von Ilse P. aus Niederalsen wurde vom Zeitzeugenforum ergänzt durch Angaben amtlicher Dokumente. 

Der 1. Stolperstein in Windeck wurde von Gunter Demnig zur Erinnerung an Betti Blumenthal am Samstag, dem 17.09.2011 um 10 Uhr in Alsen, Grummertwiese, unter großer Beteiligung der Bürger verlegt. Anschließend wurden weitere 21 Steine in Windeck verlegt. 

Wer weitere Informationen oder Fotos zum Leben der Familie Blumenthal oder zu anderen Verfolgten des NS-Regimes beisteuern kann, meldet sich bitte bei

Annemarie Röhrig:            annemarie.roehrig(at)gmx.de

Raimund Weiffen:            Raimund.Weiffen(at)t-online.de