Stolperstein Nr. 60 : Wilhelmine Müller geb. Hansmann

Wer erinnert sich an Wilhelmine Müller geb. Hansmann ?

Stein 60 Wilhelmine Hansmann PorträtWilhelmine Hansmann wurde am 23. Mai 1900 in Hoppengarten als Tochter von Franz Wilhelm Hansmann und Julia Hansmann, geborene Ottersbach, und als siebtes von zehn gesunden Kindern geboren.  Sie wurde am 27. Mai 1900 katholisch getauft. Ihr Vater war von Beruf Geschoßfabrikarbeiter.

Ihre Geschwister waren Katharina, Jahrgang 1887, verheiratet Bargon, Christian, Jahrgang 1888, Joseph, Jahrgang 1890, Franziskus Wilhelm, Jahrgang 1892, Juliane, Jahrgang 1922, verheiratet Müller, Wilhelm, Jahrgang 1897, Heinrich, Jahrgang 1902, Anne Catharina, Jahrgang 1905, und Maria, Jahrgang 1908, verheiratet Hohn.

Am 22. Mai 1930 im Alter von 30 Jahren heiratete sie in Marienthal Peter Müller aus Gutmannseichen. Sie bekam drei gesunde Kinder: zwei Mädchen und einen Jungen. Wilhelmine lebte mit ihrer Familie im Haus der Schwiegereltern in Gutmannseichen zusammen mit Lieschen, der Schwester ihres Mannes, ihrem Mann und den drei Kindern. Die Familie betrieb dort eine kleine Landwirtschaft mit Milchkühen.

Doch Wilhelmine genannt „Minna“ war vielleicht unglücklich und oft schwermütig. Möglicherweise gab es Spannungen in der Familie. Minna besuchte öfter abends ihre Schwester Juliane genannt „Jull“, die auch nach Gutmannseichen geheiratet hatte, und machte mit ihr Spiele, z.B. Mühle. Dabei sei sie dann oft mit den Gedanken plötzlich ganz woanders gewesen. Ein Neffe erzählt: „Tante ‚Minna’ hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Tante Jull. Auf Besuchen bei Tante Minna empfand ich oft eine gedrückte Stimmung im Haus.“

Im Dezember 1937 erlitt Wilhelmine laut Aussage ihres Mannes einen plötzlichen Nervenzusammenbruch. Sie war dann auf den Rat des behandelnden Arztes aus Herchen zur Beobachtung in die Nervenklinik Bonn überwiesen worden. Laut Bonner Krankenunterlagen war sie mit angeblichen Selbstmordabsichten eingeliefert worden. Von dort habe man sie ohne sein Wissen in die Heil- und Pflegeanstalt überstellt.

Am 20. Dezember 1937 wurde Wilhelmine tragischerweise stationär in die Provinzial- Pflege- und Heilanstalt in Bonn aufgenommen. Trotz wiederholter Versuche sei es ihm nicht möglich gewesen, seine Frau wieder nach Hause zu holen, berichtete ihr Mann 1955 beim Amt für Wiedergutmachung des Rhein-Sieg-Kreises. Später sei sie außerdem sterilisiert worden. Die erhaltenen Krankenunterlagen bestätigen alle Angaben des Ehemannes. Am 5. Juli 1938 wurde von der Heilanstalt eine Anzeige gemäß der „Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5. Dezember 1933“ gegen Wilhelmine beim Gesundheitsamt gestellt und am 13. September 1938 wurde sie nach dem Urteil des Bonner „Erbgesundheitsgerichtes“ in der Bonner Frauenklinik unfruchtbar gemacht.

Als dann am 6. Juli 1944 von den Nationalsozialisten ein „Sondertransport“ mit beabsichtigter Euthanasie und dem Ziel der Tötungsanstalt „Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde“ mit 25 Patientinnen von Bonn abfuhr, war auch Wilhelmine dabei. Dies ist in den Meldeunterlagen der Bonner Anstalt vermerkt. Am 6. Juli 1944 wurde dem Ehemann in einem Schreiben die Verlegung nach Meseritz-Obrawalde mitgeteilt. Angeblich sei diese aus Gründen von „Freimachungsmaßnahmen“ in luftgefährdeten Gebieten notwendig, schrieb die Anstalt.

Dann musste Wilhelmine ihre wohl schlimmsten Tage erleben: im Sterberegister für 1944 im Standesamt von Meseritz-Obrawalde wurde ihr Tod für den 13 Juli 1944 um 1:45 Uhr eingetragen. Als Todesursache wurde den Mord verschleiernd angebliche „Schizophrenie“ und „schwerste Erregung“ angegeben. Die meisten Patienten wurden jedoch auf Anordnung der NS-Ärzte von Pflegerinnen durch überdosierte Medikamente in Form von Tabletten oder Spritzen getötet. Bereits am 13. Juli 1944 sei laut Ehemann das Telegramm der Todesnachricht in Gutmannseichen eingetroffen. Da waren ihre Kinder 8, 9 und 11 Jahre alt. Die Tante, die mit im Haushalt lebte, kümmerte sich um die Kinder.

„Ja, ich weiß, meine Mutter ist damals nach Bonn in eine Pflege- und Heilanstalt gekommen. Ja, Meseritz, habe ich mal gehört, dass meine Mutter da war. Ich war da noch ganz klein. Ich habe da keine Erinnerung daran. Da ist auch später nie drüber gesprochen worden. Der Papa hat nie etwas zu uns darüber gesagt. Das Thema war zu Hause tabu. Die Kinder aus dem Dorf haben schon mal was gesagt, von denen habe ich das erfahren, was ich wusste. In der Schule habe ich einmal geweint, als wir einen Aufsatz über unsere Mütter schreiben sollten. Die Lehrerin kam zu mir und sagte, da musst du doch nicht weinen. Ich habe auch mit meinen Kindern später nie darüber gesprochen.“

Ein damaliger Nachbarsjunge erinnert sich noch daran, wie am Abend des 19. Dezember 1937 viele aus dem Dorf, auch Wilhelmines Mann und ihre Schwester Juliane Müller geb. Hansmann, auf den Beinen waren, um Wilhelmine zu suchen. „Ich weiß noch, wie das passiert war, die Nacht. Es hatte ein bisschen geschneit. Die Wilhelmine hatte ihrem Peter gesagt, sie müsse mal nach dem Klo. Das war ja draußen im Hof. Sie ist aber da vorbeigelaufen in Richtung Hoppengarten. Im Kaltbachtal haben sie sie gefunden und hochgeholt. Am nächsten Morgen war die schon weg.“ Scheinbar hatte der herbeigerufene Arzt die Abholung veranlasst. „Meine Mutter hat die Wilhelmine ein paar Mal in Bonn besucht. Da ging es ihr gut und sie wollte nach Hause. Auch ihr Mann Peter besuchte Wilhelmine in Bonn.“ (Text : Annemarie Röhrig)

Auf der Karteikarte ist das rote Kreuz als geheimes Zeichen der NS-Ärzte zu sehen, welches bedeutete, dass die Patienten ermordet werden sollten.

Auf der Karteikarte ist das rote Kreuz als geheimes Zeichen der NS-Ärzte zu sehen, welches bedeutete, dass die Patienten ermordet werden sollten.

 Auf der Karteikarte ist das rote Kreuz als geheimes Zeichen der NS-Ärzte zu sehen, welches bedeutete, dass die Patienten ermordet werden sollten.

Diese Zeitzeugenberichte wurden vom Zeitzeugenforum Windeck durch Angaben amtlicher Dokumente ergänzt. Weitere Informationen im LVR-Archiv, Polnischen Staatsarchiv Gorzow Wielpolski, Archiv Rhein-Sieg-Kreis, bei Linda Orth vom Psychiatriemuseum der LVR-Kliniken in Bonn , Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“.

Der 60. Stolperstein in Windeck wurde von Gunter Demnig am 11. März 2016 um 15:30 Uhr in Gutmannseichen zur Erinnerung an Wilhelmine Müller verlegt.